Eine Reise der anderen Art…

Es ist etwas anderes, wenn man ein Land mit der Absicht bereist, bald dahin zu ziehen. Tipps und Hinweise für eine erfolgreiche Erkundungsreise hatte ich bereits hier beschrieben. Nun habe ich meine eigenen Ratschläge in der Praxis erprobt. Hier der schon längst fällige Erfahrungs- und Erlebnisbericht…

Wenig Zeit? Viel Spaß mit der Diashow!

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Kurz die Eckdaten:

  • Für drei Jahre (2017-2020) ziehen mein Mann und ich mit unserer Tochter ins kanadische Windsor, Ontario.
  • Während des sogenannten Look-and-See-Trips hatten wir im Oktober fünf Tage lang (Reisezeit inklusive!) die Möglichkeit, uns ein eigenes Bild der Stadt zu machen und erste Informationen direkt vor Ort zu sammeln.
  • Ganz bewusst haben wir die Reise nur zu Zweit gemacht, unsere Tochter hatte in dieser Zeit dafür die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Großeltern. Wie wir sie auf die große Reise vorbereiten, werde ich bald berichten.

 Fünf Tage Übersee sind zu wenig? Zeit- und Geldverschwendung?

Das Wichtigste gleich zu Beginn: Fünf Tage inklusive Reisezeit klingen zwar wenig, sind aber völlig ausreichend. Man muss nur systematisch vorgehen, das heißt, sich im Vorfeld überlegen: Welche Fragen habe ich? Wie und wo kann ich diese beantworten?

So wollten mein Mann und ich

  1. Informationen über Stadt, Umgebung und Ausflugsziele sammeln,
  2. die Stadt in all ihren Facetten kennen lernen und erleben,
  3. schöne Wohngebiete identifizieren,
  4. organisatorische Dinge wie SIM-Karte und Bankkonto klären.

Darüber hinaus standen auf meiner Agenda noch Besuche

  • des Rathauses,
  • des Karrierecenters der Universität und
  • von Arbeitsagenturen,

um meine eigenen beruflichen Möglichkeiten zu erkunden bzw. Hinweise für die Jobsuche zu bekommen.

Es hat sich gelohnt

Mit 10 kg mehr – im Koffer, nicht auf den Rippen – ging es zurück nach Deutschland: Infomaterialien, Prospekte, Stadtpläne, Jobinformationen und Mitbringsel für unsere Tochter und die Familie.

Dazu zahlreiche Eindrücke, die ich versuche, kurz in Worte zu fassen:

Wirklich beeindruckt hat mich die Freundlichkeit der Kanadier. Ihre enorme Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit ist mir bereits am Flughafen in Toronto aufgefallen. So viel angenehmen Smalltalk wie in diesen fünf Tagen habe ich schon lange nicht mehr geführt. Und da war nichts oberflächlich, sondern es ging weit über das übliche „How are you?“ hinaus. Vielmehr zeugten die Gespräche von echtem Interesse. Spätestens mit „Next year, we will move to Windsor for at least three years.“ hatten wir alle auf unserer Seite und erhielten hilfreiche Tipps und Informationen, die in keinem Reiseführer der Welt zu finden sind.

„Windsor? Really? Why Windsor?“

Nur einmal überraschte uns eine leicht schockierte Reaktion auf die Umzugspläne nach Windsor. Allerdings war die Gesprächspartnerin selbst auch nur zugezogen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten alle Einheimischen nur über die Stadt geschwärmt: tolle Lage, gutes Essen, schöne Wohnviertel, Ausflugsziele etc.

Im „Lonely Planet“, den wir uns vor dem Abflug in Frankfurt noch gekauft hatten, steht über Windsor:

„Das einst boomende Handels und Industriezentrum am Ende des Highway an der südwestlichsten Spitze von Ontario (gegenüber von Detroit, USA) hat bessere Tage gesehen. […] Für den Augenblick tragen die leeren Fassaden von Windsor die Narben des Niedergangs. Die Pluspunkte? Niedrige Immobilienpreise, die unmittelbare Nachbarschaft der USA und die Nähe zum Eriesee locken immer mehr Großstädter an, die einen Gang runterschalten möchten.“

Und tatsächlich: Ähnlich wie bei Kassel (wo wir derzeit leben) verliebt man sich erst auf den zweiten Blick in die Stadt. Am Ankunftstag war ich noch etwas verhalten, denn:

  • Das Ortsschild „Windsor – The Place to be“ wirkt alt und leicht schäbig.
  • Ein richtiges Stadtzentrum ist nicht erkennbar, im „Heart of Windsor“ (das ist das Zentrum) gibt es viel Leerstand, Geschäftsraum zu verkaufen und zu mieten, Türen verbarrikadiert. Die Straßen waren menschenleer.
  • Ein Zentrum mit Marktplatz, Cafés, kleinen niedlichen Shops, wie man es aus deutschen Stadtzentren kennt, Cafés? – Nichts dergleichen.

…aber auf den zweiten Blick!

In den darauf folgenden Tagen in Windsor entdeckte ich hingegen – neben der bereits erwähnten Herzlichkeit der Einheimischen – Vieles, auf das ich mich freue!

Windsor liegt am Detroit River, an dessen Ufer man wunderbar spazieren und Spielplätze besuchen kann. Die Promenade lädt zum Radfahren, Skaten etc. ein. Am Ende des Detroit Rivers wartet der Lake St. Clair, ein tolles Ausflugsziel direkt vor der Haustür.

Windsor hat viele Parks und grüne Ecken mit Spielplätzen. Im Windsor Activity Guide werden viele Sportangebote für Kinder und Erwachsene aller Altersgruppen beschrieben. Über das Jahr verteilt gibt es viele kulturelle und sportliche Events, angefangen vom Erdbeerfest, über Musik- und Filmfestivals bis hin zum Bier- und Whiskyfestival.

In der Stadt konzentriert sich das „Leben“ rund um eine Avenue, auf der viele Restaurants, Pubs und Kneipen zu finden sind. Daneben gibt es Little Italy mit unzählbaren Pizzerien und Bäckereien. Der Gedanke an die hausgemachten Fries im Manchester Pub, die köstlichen Brownies und Cinnabon Rolls lässt mein Herz jetzt schon hüpfen. 😉

Die Wohngegenden sind sehr grün, überall springen Eichhörnchen herum, verkehrsberuhigte kleine Straßen – eben nordamerikanische Wohnviertel, so wie man sie aus den Filmen kennt. Ich sehe schon unsere Tochter auf der Straße Rad fahren oder zu Halloween (ohja, das wird zelebriert!!! und wie!!! daran muss ich mich wohl erst noch gewöhnen!) bei den Nachbarn klingeln.

Über die Stadtgrenzen herausgeblickt

Die Lage der Region Windsor-Essex könnte nicht besser sein, eingeschlossen von Wasser, die Großen Seen auf der Nase, Toronto für amerikanische Verhältnisse direkt vor der Haustür. Mit dem Auto kommt man schnell von A nach B. Der Eriesee ist 40 min entfernt, Bademöglichkeiten gibt es zahlreiche. Was man nicht erwartet, sogar 19 Weingüter gibt es in der Region. Die Sommer sollen traumhaft sein, die Witter nicht zu kalt, aber dennoch schneesicher. Während unseres Aufenthaltes war der Indian Summer noch in vollem Gange!

Windsor liegt übrigens direkt an der Grenze zu den USA, über eine Brücke oder durch einen Tunnel gelangt man nach Detroit. Egal, wo man in Windsor ist, die Skyscraper der amerikanischen Nachbarstadt sind überall sichtbar.

Zum Schluss noch einige Erkenntnisse und „Fun“ Facts

Die Wegwerfkultur wird leider auch in Kanada zelebriert. Zum Frühstück im Hotel (und nein, das war keine Kaschemme, sondern hatte 3 Sterne) gab es Plastikgeschirr. Immerhin, abgesehen von dem weichen Toastbrot, gab es alles, was das Herz begehrt: Joghurt, Obst, Saft, Müsli. Und es ist vermutlich nicht selbstverständlich, dass dies im Hotel angeboten wurde, denn die Preise für Lebensmittel sind enorm.

Für Obst und Gemüse, Joghurt, Milch, Kaffee, Mehl, und und und – eben alles, was man zum Leben braucht – zahlt man in Kanada das Doppelte! Wir haben auch Schwarzbrot gefunden, abgepackt und bereits geschnitten, aber immerhin. Bäckereien – so wie man sie in Deutschland kennt – gab es nicht, dafür aber zahlreiche Bakeries, in denen Muffins, Brownies, Cakes etc. verkauft werden.

WLAN gibt es nahezu überall: in den Malls, auf der Straße, in Pubs und Restaurants – kostenfrei natürlich.

An jeder zweiten Ecke gibt es Drug Stores (analog zu DM/ Rossmann aber mit Apothekenbereich), dafür haben wir in fünf Tagen nur drei Supermärkte gesehen…

Dafür aber werden in Kanada in jedem dritten Geschäft „Onesies“ verkauft – Strampler für Erwachsene.

Und zu guter Letzt: Nicht nur die US-Amerikaner sind patriotisch, sondern auch die Kanadier. Sehr sogar. In vielen Gärten ist die kanadische Flagge gehisst.

Fazit

Nun kann es also losgehen. Ich bin bereit für das Abenteuer Kanada. Ich weiß, was mich in Windsor erwartet – auch, was ggf. anders ist als in Deutschland. Es gab nichts, was mich abgeschreckt hat, vielmehr haben die fünf Tage Kanada mein Reisefieber geweckt und ich freue mich auf das, was kommt.